Die Luftbilder der „Trolley Mission“ in Farbe: Luftaufnahmen von Gießen aus dem Zweiten Weltkrieg

Oftmals wünscht man sich beim Betrachten alter Familienfotos, dass es „damals“ schon einen Farbfilm gegeben hätte. Allerdings erschien erst im Jahre 1935 der erste Farbfilm auf dem Markt, der vom US-amerikanischen Unternehmen „Eastman Kodak“ eingeführt wurde. Anfangs war „Kodachrome“ lediglich für 16mm-Kameras und ab 1936 für 8mm-Kameras verfügbar. Im Jahre 1938 wurden Filmkassetten in verschiedenen Größen eingeführt; allerdings waren diese nur für professionelle Fotografen erschwinglich. In Deutschland entwickelte „Agfa“ im Jahre 1936 ebenso einen Farbfilm, der als „Agfacolor“ in die Geschichte eingehen sollte.

Allerdings verzögerten die Kosten eines Farbfilms im Vergleich zum Schwarzweißfilm die kommerzielle Nutzung bei Amateurfotographen. Noch in den 1950’er Jahren gehörten Schwarzweißfotos zur Normalität. Erst in den 1960’er Jahren verbreitete sich die Farbfotographie allmählich, wobei Farbfilme, die Entwicklung und Ausbelichtung auf Positive noch immer ein Vielfaches des Preises für Schwarzweißfilme betragen hatten. Ab den 1970’er Jahren eroberte schließlich der Farbfilm endlich auch die Amateurfotographie.

Diese Kurzversion der Technikgeschichte zeigt uns auf, dass es also kaum möglich war, im Mai 1945 Farbfotographien zu erstellen. Im digitalen Multimedia-Jahrhundert, in dem wir uns mittlerweile befinden, gehören analoge oder digitale Farbfotos zur Normalität. Doch was wäre, wenn die Piloten und Passagiere der „Trolley Mission“ im Mai 1945 bereits Farbfotos hätten machen können? Das wäre - aus heutiger Sicht - sensationell. Daher hat sich Markus Lenz, der Autor dieser Internetseite und Erforscher der „Trolley Mission“, intensiv mit dem Software-Projekt „DeOldify Image Colorization“ von Jason Antic befaßt, womit sich Schwarzweißbilder mit Hilfe künstlicher Intelligenz in Farbbilder nachkolorieren lassen. Das Ergebnis ist - je nach Parametern und Voreinstellungen dieser sogenannten „Deep Learning Software“ - durchaus erstaunlich und in des Wortes wahrstem Sinne sehenswert. Nun erscheinen uns jene alten Luftaufnahmen überraschend lebendig und aufgrund der vertrauten Farbigkeit bringen uns die kolorierten Luftbilder die Vergangenheit viel näher. Nicht immer hat der Algorithmus bestimmte Bildbereiche zuverlässig eingefärbt, dennoch ist das Ergebnis dieser nachträglich kolorierten Luftbilder höchst bemerkenswert.

Aufgrund der derzeit vielbeachteten Berichterstattung über die „Trolley Mission“ in der Zeitung „Gießener Anzeiger“ (Juni und Juli 2020) sind die sechs vorhandenen Luftaufnahmen der Stadt Gießen nachträglich koloriert worden.

 

Erstes Farb-Luftbild


Die erste Laufaufnahme zeigt das völlig zerstörte Zeughaus, das nach dem Wiederaufbau zur Universitätsbibliothek Gießen gehört. Ebenso sind der Landgraf-Phillipp-Platz und das Neue Schloß zu erkennen.

 

Zweites Farb-Luftbild


Die zweite Luftaufnahme zeigt das alte Bahnbetriebswerk Gießen. Oberhalb der beiden Ringlokschuppen verlaufen die Frankfurter Straße sowie die Haupteisenbahnlinie nach Marburg (Norden) bzw. Friedberg und Frankfurt (Süden). Fast erschreckend ist die unendliche Vielzahl der Bombenkrater.

 

Drittes Farb-Luftbild


Die dritte Luftaufnahme zeigt die Innenstadt von Gießen in der Nähe des Landgraf-Philipp-Platzes im Mai 1945. Diagonal durch die Bildmitte verläuft die Walltorstraße, von der (links) die Brandgasse und (rechts) die Braugasse zum Landgraf-Philipp-Platz führen. Ganz unten im Luftbild sind die Trümmer und Ruinen des Zeughauses zu erkennen.

 

Viertes Farb-Luftbild


Die vierte Luftaufnahme zeigt einen Teil der Ostanlage der Stadt Gießen, der seinerzeit als „Hitlerwall“ bezeichnet wurde. Entlang der Bildmitte verläuft die Ostanlage, wobei auf der rechten Straßenseite die Ruinen des Landgerichtes Gießen sowie des Amtsgerichtes Gießen zu erkennen sind. In der oberen Bildhälfte kreuzen sich die heutige Walltorstraße, Ostanlage und Marburger Straße, wo seinerzeit die im Jahre 1899 gegründete Firma Gießener Brauhaus und Spiritusfabrik A. & W. Denninghoff angesiedelt war. Dort, wo auf dem Luftbild von 1945 noch ein Schornstein zu erkennen ist (Brauhausgelände), befindet sich heute die Bundesagentur für Arbeit.

 

Fünftes Farb-Luftbild


Die fünfte Luftaufnahme zeigt eine Großaufnahme der Universitätsstadt Gießen im Mai 1945. Sehr gut sind die historischen Grenzen Nordanlage, Ostanlage, Südanlage sowie Westanlage zu erkennen, die einst die Innenstadt umsäumten. Entlang der Südanlage lassen sich auf der rechten Bildhälfte die Johanneskirche und wenige Meter später das Stadttheater Gießen erkennen.

 

Sechstes Farb-Luftbild


Die sechste und letzte Luftaufnahme zeigt ebenfalls eine Großaufnahme der Stadt Gießen. Links unten auf dem Bild verläuft die Lahn, die von der heutigen „Sachsenhäuser Brücke“ überspannt wird. Gut zu erkennen ist ferner das Mühlengebäude („Kinkels Mühle“), das ursprünglich viergeschossig war und nach dem Zweiten Weltkrieg um zwei Geschosse aufgestockt wurde. Ebenso ist zu erkennen, dass sich das Wehr im Mai 1945 noch an anderer Stelle befand als heute. Es wurde nach einem Neubau im Jahre 1979 einige Meter weiter flußabwärts installiert und besteht heute zusätzlich aus einer Fußgängerbrücke. Direkt daneben befindet sich heute das sogenannte „Lahnfenster“.